offene schule waldau - einfühlen in eine fremde kultur

Einfühlen in eine Fremde Kultur
HNA - Samstag, 12. Dezember, 1992

Entfaltung der eigenen Möglichkeiten und Aufgeschlossenheit für andere Kulturen sind Lernziele des Projekts "Bewusstheit durch Bewegung", das die Offene SchuleWaldau anbietet.

KASSEL. Die Worte verstehen sie nicht, aber vom Rhythmus der Saiten- und Schlaginstrumente angesteckt, formen sie die Laute nach, geraten in Bewegung, lassen sich hineinziehen in den Bewegungskreis.

Capoeira, brasilianischer Kampf-Tanz, steht auf dem Stundenplan der Siebtklässlerin der Offenen Schule Waldau. Rogerio, Tanzmeister aus Brasilien, skandiert den Rhythmus, Claus Bühler, Vorsitzender der Feldenkrais Gilde, lenkt die Schritte.

Einfühlen in eine fremde Kultur, ungewohnten Klängen und Rhythmen nachspüren und eigene Bewegungspotentiale mobilisieren wie beim Capoeira, ist Teil eines Projekts, das in der Offenen Schule Waldau seit rund einem Jahr erprobt wird. In Kooperation mit der Feldenkrais – Pädagogin Corry Joswig entwickelte Sportlehrer Wilfried Persch das Konzept "Bewusstheit durch Bewegung" .

Grundlage ist die Lehre von Moshe Feldenkrais, dessen Methoden darauf abzielen, die eigene Bewegung bewusst wahrzunehmen, das Bewegungspotenzial zu erweitern und in einem ganzheitlichen Prozess Selbstbewusstsein und Kreativität zu entfalten.

Der Verein für Behindertenförderung finanzierte das Feldenkrais-Projekt, die Fortführung mit fremdländischen Tanzkünsten ermöglichte die Volkshochschule.

Voller Bewegungsdrang
In Gruppen und Einzelstunden erfahren die Schülerinnen und Schüler Veränderun-gen in ihren Bewegungsmöglichkeiten und deren Auswirkungen auf ihr Verhalten. "Nach den Stunden habe ich mich immer ganz offen gefühlt und voller Bewegungsdrang" , erzählt Karoline. Und Maria bestätigt, dass sie ihre Freundin Karo "lockerund rundum entspannt" erlebt hat. Ihr selbst erging es ähnlich. Die Hüftschmerzen infolge einer Beinverkürzung seien merklich geringer geworden.

Sie versucht, die Übungen regelmäßig auch zuhause fortzuführen. Thomas bemerkte zum ersten Mal, dass er ganz verkrampft auf dem Rücken lag, und Alex wurden seine umständlichen Bewegungen bewusst.

Wie die beiden hat auch Dirk das Gefühl, dass er sich entspannter bewegen kann und schöpft daraus neues Selbstbewusstsein. "Früher hat er immer gesagt, er habe sich nicht gemeldet, wenn er dran kam, jetzt traut er sich, was zu sagen, " haben auch die Mitschüler die Veränderung bemerkt.

Viele positive Rückmeldungen finden sich in der Projektauswertung von Wilfried Persch, nicht nur von Schülerinnen und Schülern, auch aus dem Kollegium.

Konzentration und Motivation, Konfliktfähigkeit und Aufeinandereingehen, Engagement und Kommunikation hätten sich in den Klassen verbessert, attestiert das pädagogische Team des Jahrgangs, das auch durch eigene Erfahrung mit der Feldenkrais - Methode den Prozess der Schülerinnen und Schüler begleitet.

Ein Prozess, der nicht einfach nachzuvollziehen und theoretisch schwer erklärbar ist. "Man muss die Erfahrung machen", empfiehlt Corry Joswig und die Schülerinnen und Schüler stimmen ihr uneingeschränkt zu.

VON CLAUDIA HOHMANN